Gladiatoren
Regie   Axel Engstfeld
Kamera Bernd Mosblech
Ton Michael Loeken
Schnitt   Jean-Marc Lesguillons
Länge   45 Minuten
Format 16mm
Sendung 6.12.1984 20:15h
Synopsis
In einem Düsseldorfer Hinterhof, zwischen Bahndamm und Bordell, - eine Boxschule. Chisanda Mutti und Thomas Clahsen bereiten sich auf ihren Kampftag vor. Beide sind Profis- Profis des erfolgreichsten Boxstalls der Bundesrepublik, des Stalles von Wilfried Sauerland. Zehn Boxer gehören dazu, Schwarze wie Weiße, bekannte Namen wie René Weller und Manfred Jassmann. Für Manager Sauerland ist der Stall nur ein Hobby, seine Millionen verdient er mit dem Export von Industrieanlagen nach Afrika. Auf dem Rückweg importiert er schwarze Boxer. "Die Schwarzen boxen, weil sie Hunger haben, die Weißen aus Eitelkeit".

Schweiß und Hektik im Trainingscamp, die schwäle Musik im Saunaclub, die Einsamkeit im Hotel, die Nervosität in den Kabinen vor dem Kampf – der Film gibt Einblick in ein fremdes Milieu, in den Alltag der Gladiatoren.

Pressekritiken Süddeutsche Zeitung 8.12.84

Fiktives Konto
Unter deutschen Dächern: Gladiatoren (ARD/Radio Bremen)
Schweißüberströmt sitzt Chisanda Mutti nach seinem Fight in der Kabine. Das Unentschieden der Punktrichter erscheint ihm als schmeichelhaft, denn er fühlt sich als Verlierer. Dieses Zugeständniss entlastet ihn. Der afrikanische Boxer, der nach der knochenharten Vorbereitung im Trainingscamp jetzt nahezu entspannt wirkt wird plötzlich leutselig, redet sich anscheinend die Versagungen der letzten Wochen aus der Seele. Die Schwarzen seien leichter zu führen, hört man es aus dem "berufenen" Mund eines Boxstall-Bosses.

Axel Engstfeld gelang es, solche sarkastischen Sprüche, solche zynischen "Lebensweisheiten" aufzuschnappen. Der Autor dieser ausdrucksstarken Reportage war ständig auf der Höhe des Kampfes und beäugte sie alle: die Mitglieder der halbseidenen Schickeria, die am Ring gierig ihr Menü verzehrt, das aus kulinarischen Genüssen und Fausthieben besteht; die bieder-ehrlichen Sportler, die bis zur Erschöpfung ihren Drahtseilakt zwischen Schinderei, Traumarbeit und Resignation zu bewältigen haben; die Geschäftemacher, die mit jovialen Streicheleinheiten ihre Angestellten ins Getümmel schicken und dabei gewissermaßen jeden Muskel auf einem fiktiven Konto abbuchen.

Beobachtungen reihten sich da aneinander, die so gar nichts von der stereotypen Dramatik der üblichen Produktion über das "schmutzige" Geschäft mit den Boxheroen hatten. Engstfelds Dokumentation setzte vielmehr Akzente, ohne dabei die gängigen Klischees über das Milieu der Neuzeitgladiatoren neu aufzulegen.
Hans Heinrich Obuch




Funk—Korrespondenz 14.12, 1984
Zwar alte Schule, aber oho . ...!
Zur Reihe "Unter deutschen Dächern", besonders am Beispiel
von Axel Engstfelds
"Gladiatoren" ARD, Do 6.12.

Eine der wenigen Reihen, deren Titel noch verdient, positiv als Erkennungs-, Merk- und Markenzeichen verstanden zu werden, ist "Unter deutschen Dächern" von Radio Bremen (RBr) in der redaktionellen Betreuung von Elmar Hogler. Der neueste Beitrag dieser Reihe "Gladiatoren. Beobachtungen in einem Boxstall" von Axel Engstfeld, der am Donnerstag, dem 6. Dezember, zur Hauptsendezeit im Ersten ausgestrahlt wurde, bestätigte einmal mehr ihre Zuverlässigkeit. Diese Reihe hält, was sie verspricht, löst ein, was man von ihr qualitativ, sowohl inhaltlich wie formal, erwarten darf.

Vor dem Hintergrund eines um sich greifenden pseudokritischen "Oberflächen"-Reportage-Journalismus, der sich aufreißerisch kritisch gibt, in Wirklichkeit aber nur meist in trüben Quasi-Aktualitäts- und Boulevard-Brühen tümpelt, verdient dies Anerkennung. Und vor dem Hintergrund eines mehr und mehr zum Reihenprogramm verkommenen Fernsehprogramms, das sich manchmal schon peinlich anbiedernd einem von Einschaltquoten diktierten und daher als populär angenommenen Massengeschmack unterwirft, verdient "Unter deutschen Dächern" besonderen Respekt. Hier wird der Reihentitel nicht benutzt, um dem Zuschauer Nieten unterzujubeln.

Nun sind zwar einzelne Sendungen dieser seit 1979 bestehenden und inzwischen bald dreißig Beiträge umfassenden Reihe schon mit Preisen ausgezeichnet worden—z. B. die Altenheim-Dokumentation "Gepflegter Abschied" vom 8. Februar 1981 mit einem Adolf-Grimme-Preis—, aber der Preis, der die Reihe für die Gesamtleistung des Qualitätserhalts würdigt, steht noch aus. Sensibilität. Es gäbe wohl nichts Mißlicheres und Widersprüchliches als eine routiniert heruntergespulte Dokumentation über die Gefühlskälte unserer Welt. Eine solche Dokumentation ist vorstellbar—was schon schlimm genug ist—, darf befürchtet werden, ja findet sich ab und zu tendenziell schon in den Programmen: Jeder Journalist, der glaubt, das Kamera-Draufhalten, das Erklärungs- und Geschichtchen-Abgeben und das Kommentare Draufklotzen genüge, erstellt nicht nur eine professionell unsensible Arbeit, sondern er selbst und seine "Arbeit" sind Teil der und Zeugnis für die mangelnde Sensibilität. Sensibilität aber (gemeint ist nicht die nach dem Motto "Gib-dem-Affen-Zucker" flink erstellte und erzeugte gefühlsduselige Rührseligkeit) gehört zum Wesen des Journalismus. Und diese positive Sensibilität ist das erste verzeichnenswerte Markenzeichen von "Unter deutschen Dächern".

Axel Engstfelds "Gladiatoren. Beobachtungen in einem Boxstall" war wieder ein Musterbeispiel für diese intelligente Feinfühligkeit, die nicht schon glaubt, harsch und direkt gefragt, sei bereits das A und O des kritischen Journalismus, sondern die den Ursprungssinn des griechischen Verbs kritein verfolgt, im Sinne von Scheiden, Sichten und Sehen nicht nur draufblicken, sondern beim Draufblicken durch- und reinsehen will, über den Schein des bloßen Abbilds zu kommen sucht. Axel Engstfeld und sein Kameramann Bernd Mosblech sind nicht dem sensationsgierig erlüsterten Oberflächenreiz des Sujets erlegen, das Boxer ohne weiteres abgeben können. Ihre Sensibilität, was für die Reihe insgesamt typisch ist, zeichnet sich durch ihre Kunst des Sehens mit technischen Hilfsmitteln aus. Sie tasteten sich heran, zunächst an die Orte, wo stattfindet, was sie dokumentieren wollten: Straßenbilder, Bahndamm, Hinterhof, Trainings- und Kampfräume und anderes.

An diesen Orten versuchten sie, die "Akteure" als integriert zu erfassen, allen voran Thomas Clahsen und Chisanda Mutti, die beiden Boxer, die im Mittelpunkt der Dokumentation standen, dann aber auch den Manager Wilfried Sauerland, der seinen in strengem Kontrast zum eigenen Nobelmilieu stehenden "Boxstall" als Hobby betreibt. Nicht zu vergessen sind die Helfershelfer Sauerlands und die Box-Fans, die ja letztendlich das Geschäft finanzieren. Langsam jedoch schwenkte diese abbildende Außensicht in eine innere Perspektive über. Das Milieu wurde mehr und mehr von innen her geknackt, so daß selbst der, der sich weder für Boxer noch deren Probleme interessiert, in den Bann der Fragen geriet, wie und warum sich Menschen derart abrackern. Die Glücksvorstellung vom strahlenden Sieger wurde als Hülle unvorstellbarer Quälereien erkennbar, ohne daß die Helden verurteilend bloßgestellt wurden. Diese "Gladiatoren" unserer Zeit blieben Helden, wenn auch zwiespältige, aber Helden im Ertragen von Leiden, abstoßend und Bewunderung erheischend zugleich.

Optische Durchdringung mit filmischen Mitteln
Nun hat Axel Engstfeld verschiedene "Tricks", die dem handwerklichen Können und der kunstgewerblichen Ästhetik zuzuordnen sind, angewandt, um durch das Abbild eine innere Perspektive durchscheinen zu lassen. Die Zeitlupe machte zum Beispiel Schweißtropfen zu mehr als bloßen Abbildern; sie standen für äußere Zeichen innerer Verfassungen. Musik schuf verstärkende Atmosphäre, die durch Detailaufnahmen unterstützt wurde. Sie verwiesen immer wieder auf die schier unauslotbare, in ihrer Geballtheit ohnmächtig erscheinende Kraft (mich persönlich erinnerte die Atmosphäre sehr an die poetischen Zeilen Rilkes "Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, / der sich im allerkleinsten Kreise dreht, / ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, / in der betäubt ein großer Wille steht"; mit diesen Zeilen wird "Der Panther" in seinem Zookäfig beschrieben). Nun mag einzelnen Zuschauern manches verspielt und überflüssig erschienen sein, aber diese Vermittlungsform gehörte nicht nur zu dieser Sendung, sondern gehört auch zum Reihenkonzept von "Unter deutschen Dächern".




Gong 48/1984, Sdg:6.12.

Jahrelang herrschte eitel Flaute im bundesdeutschen Boxgeschäft. 600 Zuschauer bei einem Kampf im Kölner "Sartory" waren 1980 noch die magere Regel. Da hatte Wilfried Sauerland freilich gerade erst angefangen, seinen Boxstall zu managen. In diesem Jahr nun wurde die Düsseldorfer Philipshalle mit 5000 Besuchern voll - erstmals seit 12 Jahren. Dank Herrn Sauerland ist das Profiboxen im Aufwärtstrend.

Wie es vor und nach den Kämpfen der "Gladiatoren”, im Trainingsalltag dieses inzwischen auch international erfolgreichen Boxstalls zugeht, filmte Axel Engstfeld für die ARD-Reihe "Unter deutschen Dächern".

Zugpferde wie der "schöne" René Weller, Manfred Jassmann, Anwärter für die Deutsche Meisterschaft am 1. Dezember, oder der Düsseldorfer Lokalmatador Thomas Clahsen stehen bei dem 43jährigen Sauerland unter Vertrag. Vor allem aber schwarze Boxer aus Afrika: Chisanda Mutti, Lotti Mwale, John Mundunga, Cham Armchituele und John Mugabi heißen sie und haben sich zum Teil bis in die Weltklasse geboxt.

Dabei hatte der gebürtige Wuppertaler Sauerland mit Firmensitz in London und Wohnsitz in der Schweiz mit Boxen nichts zu tun. Sein Geschäft ist der Handel mit Ziegeleien, Lastwagen, Industrieanlagen, und der schwarze Kontinent ist wichtigster Partner für seine Millionengeschäfte. 16 Jahre hat er selbst in Ostafrika gelebt. Und als Staatspräsident Kaunda samt Außen- und Sportminister ihn baten, etwas für Sambias Boxtalente zu tun, da griff er zu. Das Geld, welches man im Profisport erst mal investieren muß, hatte er ja.

Bis heute ist das Boxmanagement "nur" sein Hobby. Seinen Boxerimport häIt er für "ganz private Entwicklungshilfe": schließlich vermittelt er ihnen außer internationalen Kontakten, Ausbildung und Trainingsplatz, die Chance, sich hochzuboxen. Axel Engstfeld: "Er ist nicht der Ausbeutertyp von Manager, die ihre Leute benutzen und wegschmeißen. Er kümmert sich auch um ihre Existenz."

Freilich ist er mit 25 Prozent Beteiligung immer dabei. Ihre Erfolge öffnen ihm im boxbegeisterten Afrika noch mehr Türen: er gilt dort als eine Art "Nationalheld".

Aber: ein Thomas Clahsen verdient gut seine 5000 im Monat, ein Chisanda Mutti, der wie die anderen Afrikaner in London lebt, mehr in den USA boxt und meist nur als Sparringspartner für die Weißen nach Deutschland kommt, lebt von 800 Mark Taschengeld - allerdings bei freier Kost und Logis.

Engstfeld hat erlebt, wie sich der Erste der Weltrangliste beim Manager zehn Mark fürs Kino erbat: "Die Schwarzen müssen sich hier natürlich total anpassen. Sie haben keine Freunde, sprechen nur englisch, sind sehr isoliert und haben natürlich Heimweh. Muttis Frau und sein 4jähriges Kind leben in Sambia. Aber er hat ja keine andere Wahl: zu Hause kriegt er als Hausboy oder Kellner höchsten 100 Mark."

Deswegen ist sein Fazit: "Die Schwarzen boxen aus Hunger, die Weißen aus Eitelkeit” nicht wörtlich zu nehmen. Aber stimmen tut es trotzdem.
R. Hilbert

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